Entscheidungsunterstützung mit mehreren Kriterien
Im einfachsten Fall der Entscheidungsunterstützung mit GIS gilt es, Räume
oder Standorte zu finden, die für eine Zielsetzung mehrere Kriterien erfüllen
oder optimieren. Im Fallbeispiel der Gemeinde St. Gittal besteht die Zielsetzung
in einem ersten Ansatz darin, die besten Lebensräume für den Wolf auf dem
Gemeindegebiet zu identifizieren. Angenommen, der Wolf bevorzugt siedlungsferne
und bewaldete Gebiete, so lassen sich daraus zwei Suchkriterien formulieren.
Liegen wie in diesem Fall mehrere Kriterien, aber nur eine Zielsetzung vor, so
spricht man von einer Multikriterien-Evaluation (Multi Criteria
Evaluation, MCE).
Standardvorgehen bei MCE:
- Problemdefinition: Der erste Schritt einer MCE
besteht in der Definition des Problems. Beim Fallbeispiel der Gemeinde St.
Gittal könnte die Problemdefinition wie folgt lauten: „Welche Teile des
Gemeindegebietes eignen sich als Lebensraum für den Wolf?“
- Kriterienwahl: Der nächste Schritt ist die Wahl der
Kriterien. Die gewählten Kriterien sollten die Charakteristik des gesuchten
Standorts oder Raumes möglichst gut widerspiegeln. Kriterien können sowohl
räumlicher Natur (Geometrie, Topologie) als auch sachlicher Natur sein
(Attribute). Ein räumliches Kriterium ist etwa der Abstand des potenziellen
Lebensraumes des Wolfs zur nächsten Siedlung. Die Einschränkung auf die
Bodennutzungsklasse „Wald“ ist hingegen ein sachliches Kriterium. Weiter
gibt es harte, unbedingt zu erfüllende Kriterien („must-have“) und weiche,
lediglich wünschbare („nice-to-have“) Kriterien.
- Operationalisierung der Kriterien: Sind die Kriterien
einmal bestimmt, müssen sie in präzise, messbare Kenngrössen übersetzt
werden. Diesen Vorgang nennt man Operationalisierung.
So könnte das Kriterium „nicht zu nahe am Siedlungsgebiet“ in die Angabe
einer Mindestdistanz zur Bauzone in Meter übersetzt werden. Man spricht davon,
dass die Kriterien zu verrechenbaren Kenngrössen operationalisiert werden. In den
meisten Fällen entsprechen die einzelnen Kriterien je einer Datenschicht im
GIS (Layer mit Siedlungsnähe, Wald-Layer).
- Schaffung eines gemeinsamen Bezugs – Datenintegration:
Die Datenintegration schafft Vergleichbarkeit
durch gemeinsame Messskalen, gleiche Datentypen (Raster/Vektor) sowie
gleiche Auflösungen und gleiche Referenzsysteme.
- Verschneidung: Identifikation der geeignetsten Räume:
Nun werden die verschiedenen Kriterien miteinander verrechnet, um die
gesuchten Standorte oder Räume zu ermitteln. Dazu gibt es mehrere mögliche
Vorgehensweisen:
- Logische (Boolesche) Verschneidung: In jeder
Datenschicht finden sich nur binäre wahr/falsch-Informationen
(true/false, Wald/Nichtwald), aus deren logischer Verschneidung die
gesuchten Standorte und Räume ermittelt werden. Der Booleschen
Verschneidung ist die Unit „Boolesche Verschneidung“ gewidmet.
- Gewichtete Verschneidung: Fast nie wird die
simple Unterscheidung in wahr und falsch der komplexen Realität
gerecht. Eine wesentliche Verbesserung der Resultate kann erreicht
werden, wenn die einzelnen Datenschichten mit Gewichten versehen
werden. Im Fallbeispiel könnte z. B. die Entfernung zur Siedlung viel
weniger wichtig sein als das Rückzugsgebiet Wald. Dazu könnte die
Ebene mit der Entfernung zur Siedlung mit einem Gewichtsfaktor, z.
B. mal fünf, versehen werden. Diese Themen werden separat behandelt
(Units „Gewichtete Verschneidung“ und „Bestimmung der Gewichte“)
- Fuzzy Overlay: Erhebungsfehler der
Eingangsdaten und falsch gewählte Kriterien bergen die Gefahr von
Evaluierungsfehlern. In einer Multikriterien-Evaluation können
geeignete Gebiete verkannt und ungeeignete fälschlicherweise als
geeignet klassifiziert werden. Eine Lösung dieses Problems besteht in
der Auflösung scharfer Grenzen. Für die räumlichen Daten heisst das,
dass Grenzen nicht als scharfe Linien, sondern als Übergangszonen
repräsentiert werden. Bei den Attributen lösen unscharfe
Wertebereiche die scharfen Klassengrenzen ab. Dieses Konzept beruht
auf der Idee der Fuzzy Set Theory („fuzzy“ im Sinne von „unscharf“). Auf
diese Ansätze wird erst im Intermediate Level vertieft eingegangen.
- Verifikation/Evaluation: Im letzten Schritt sollten
die Resultate mit einer Referenz verglichen werden. Dies ist dann möglich,
wenn im Feld erhobene Referenzdaten beigezogen werden können („ground truth“).
Der letzte Schritt wird oft vernachlässigt. Aber beachten Sie: Eine
Eignungskarte ohne Abschätzung ihrer Güte und Verlässlichkeit ist oft das
Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurde!